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Offener Brief an den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Bouffier,

wir wenden uns an Sie im Namen zahlreicher und unterschiedlichster hessischer Kinos, die bei uns Mitglied sind oder mit denen wir uns auf andere Weise im engen Austausch befinden. Wir sind in großer Sorge um den Fortbestand der hessischen Kinolandschaft.
Das Wochenende vor der erneuten Schließung am 2.11. hat es deutlich gezeigt: Die Kinos waren (im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten) gut besucht. Die große Nachfrage machte sehr deutlich, dass den Menschen dieses Kulturangebot in den kommenden Wochen fehlen wird. Große Sorgen haben sowohl Betreiber wie Besucher, dass es auch im Dezember und darüber hinaus so bleiben und so manches Kino seine Türen gar nicht mehr öffnen wird. Damit dies nicht eintritt, richtet sich unser Blick auf das kommende Jahr 2021, das sicher ebenfalls noch von Corona beherrscht sein wird. Es kommt jetzt darauf an, die richtigen Weichen zu stellen, damit die Kinos und weite Teile der Kulturbranche nicht auf der Strecke bleiben.
Die folgenden, auf das kommende Jahr gerichteten Maßnahmen halten wir für erforderlich:
1.) staatliche Unterstützung in Form von Betriebskostenzuschüssen
Die bisherigen, für die Kultur- und Kinoszene aufgelegten Hilfsprogramme wie „Hessen kulturell neu eröffnen“ dienten vor allem dem Neustart. Diese waren hilfreich, sind aber auf Dauer nicht ausreichend. Hier muss dringend ein Richtungswechsel stattfinden in Richtung Existenzsicherung, damit das Überleben der Kinos und ihrer Betreiber gesichert werden kann. Wir empfehlen hier eine Orientierung an der aktuellen Kulturförderung in Bayern, das vor kurzem ein Programm von rund 100 Mio. € beschlossen hat. Darunter sind weitere 12 Mio. € Betriebskostenzuschüsse für Kinos für den Zeitraum Januar-Juli 2021 (sozusagen Teil II der schon seit Juli 2020 in gleicher Höhe laufenden Förderung – insgesamt also 24 Mio. € nur für die Kinos.) NRW ist am gerade mit einem 15 Mio. € starken Kinohilfsprogramm gefolgt. Ohne eine an den Fixkosten angelehnte staatliche Unterstützung werden die Kinos in Hessen nicht überleben, ebenso wenig wie andere Kulturstätten und nicht zuletzt einzelne Akteure, allen voran die die Soloselbständigen.
2.) Wiedereröffnung mit verbesserten Abstandsregeln
Die erwähnten bisherigen Förderhilfen haben die Kinos in vorbildlicher Weise umgesetzt. Wie alle diesbezüglichen Untersuchungen belegen, sind Kinos sichere Orte, von denen keine Ansteckungsgefahr ausgeht. Die Erfahrungen zeigen, dass in bestuhlten Räumen, in denen das Publikum auf das Leinwandgeschehen fokussiert ist, ein auf 1m (oder einen Sitzplatz) reduzierter Abstand ausreichend ist. In diese Richtung ist z.B. unser Nachbarland Rheinland- Pfalz vor der neuerlichen Schießung gegangen, Hessen sollte sich hier anschießen. Sie hilft den Kinos, ihre Kapazitäten auf 50 % auszuweiten und damit wirtschaftlich wieder stärker auf eigene Füße zu kommen.
Auch und gerade in einer Pandemie muss die Politik das Heft des Handelns in der eigenen Hand haben und tragfähige Konzepte zur Aufrechterhaltung des sozialen und kulturellen Lebens erarbeiten. Eine wiederum mehrere Monate anhaltende Schließungsphase wäre kultur-, gesellschafts- und auch arbeitsmarktpolitisch ein fatales Signal. Wir dürfen uns nicht mit einer Situation abfinden, in der es – wie es in Ihrer Regierungserklärung heißt – „…nicht mehr darauf ankommen, ob dieser oder jener ein gutes oder kein gutes Hygienekonzept hat“. Wenn die mit großem Aufwand unternommenen, durch Hilfsprogramme geförderten Hygienemaßnahen zum (leider schon wieder überholten) kulturellen Neustart nicht umsonst gewesen waren, bedarf es einer längerfristigen Strategie mit einem klaren Bekenntnis zur Kultur als eines das gesellschaftliche Leben prägenden Sektors. In säkularen Gesellschaften hat die Freiheit von Kunst und Kultur einen hohen Stellenwert und darf nicht mit Unterhaltung und Zerstreuung gleichgesetzt werden, wofür auch der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda in einem lesenswerten aktuellen Beitrag für DIE ZEIT sehr eindrucksvoll plädierte. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit dafür zu sorgen, dass die Kultur vor zwei Jahren nicht nur auf dem Papier als Staatsziel in die hessische Verfassung aufgenommen wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Erwin Heberling
Film- und Kinobüro Hessen e.V. im Namen der hessischen Kinos

Hier das pdf „Offener Brief zur Kinosituation in Hessen“ zum Downloaden…