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POSITIONSPAPIER der Initiative Hessen Film zur hessischen Landtagswahl 2023 an die Parteien

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Initiative Hessen Film versteht sich als demokratische Interessenvertretung und gemeinsames Sprachrohr der hessischen Produktions-, Verleih-, Festival- und Kinoszene und besteht aus ihren Mitgliedern Vereinigung Hessische Filmwirtschaft e.V., AG DOK Hessen e.V., Filmhaus Frankfurt e.V., Film- und Kinobüro Hessen e.V., Junge Generation Hessischer Film und Verbund Filmfestivals Hessen. Die Initiative stellt ein Mitglied im Aufsichtsrat der Hessen Film & Medien GmbH.

Mit diesem Positionspapier bitten wir Sie, den Mitgliedern unserer Vereine und Verbände in Vorbereitung auf die Wahl die Ziele Ihrer Partei für das Filmland Hessen in einer kurzen Antwort zu skizzieren. Die Positionen Ihrer Partei werden in den Verteilern und Fachpublikationen der Initiative veröffentlicht.

Status Quo:

Kultur ist Identitätsstiftung und Selbstverortung. Gleichzeitig erfüllt sie eine wichtige Integrationsfunktion in unserer Gesellschaft. Film ist dabei das Medium, dem sich Jugendliche und junge Erwachsene am nächsten fühlen und das Grenzen von Milieus und Klassen überwinden kann. Wie kein zweites erzählt es Geschichten immersiv und ermöglicht lehrreiche Perspektivwechsel sowie kulturelle Exkurse. Dieses Identifikationspotential stärkt der Film dann, wenn man ihn schaut – und wenn man ihn herstellt.

In unserem so unterschiedlichen und polarisierten Bundesland Hessen kommt dem Film damit in Zukunft eine zentrale Rolle zu – in Projektarbeit, kultureller Bildung und im kuratierten Abspiel. Doch zeigt die Wirklichkeit in Hessen auch, wie Grenzüberwindung und Zusammenleben funktionieren können: Hier finden sich viele erfolgreiche Beispiele für eine weltoffene Gesellschaft und gerade unser Bundesland ist darin moderner als andere Regionen in Deutschland und Europa. Um diese Geschichten aus unserem Land für uns und weit darüber hinaus für andere zu erzählen, brauchen wir eine vitale professionelle Produktionslandschaft.

In den letzten Jahren wurde in unserem Land investiert: in den aktiven Film-Nachwuchs, in Drehbuch- und Projektentwicklung, in die Infrastruktur der Kinos, in die Sozialverträglichkeit von Festivalarbeit. Durch Eigeninitiative, Begeisterung und Leidensbereitschaft hat sich, auch mit Hilfe der Filmförderung, mit deren Arbeit und Kooperationsbereitschaft wir sehr zufrieden sind, in Hessen eine neue, junge Filmszene entwickelt, deren aktuell dynamisches Potential es nun zu sichern gilt, um mittelfristig einen vollwertigen, konkurrenzfähigen Filmstandort in Hessen zu schaffen. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf dem Bereich Produktion liegen, hier ist in den nächsten Jahren finanziell der größte Mehrbedarf vorhanden.

Was nun zu tun ist:

PRODUKTION/FÖRDERUNG: Hessen hat sich vor drei Jahren eine Strategie für den Filmstandort auferlegt und seither einige der gesteckten Etappenziele erreicht: von der Abschaffung der Bürgschaftsmittel1 über die Stärkung der Nachwuchs- und Stoffentwicklungsförderung bis hin zu einer Stärkung der Festivals – daneben die notwendigen Spezialprogramme zur Bewältigung der Corona-Krise. Die so erreichte neue Situation in der hessischen Filmförderung hat zu mehreren Konsequenzen geführt: Tatsächlich ist es gelungen, die Abwanderung nach Berlin und München zu verringern; hinzu kommen zahlreiche Neugründungen und Ansiedlungen etablierter Unternehmen von außerhalb. In der Strategie für den Filmstandort wurde ein großes Augenmerk auf den Nachwuchs und auf Stoffentwicklung gelegt. Aus beiden Bereichen kommen nun geförderte Projekte sukzessive aus der Entwicklung und müssen in den Dreh und in die Produktion. Daneben bewerben sich verstärkt nicht-hessische Firmen auf die hiesigen Mittel. Im Zuge der Umstrukturierung von Bürgschafts- zu Haushaltsmitteln gingen aber effektiv 1M € an Fördermitteln verloren. Die allgemeine Antragssituation hat sich so deutlich verschärft und aktuell können nur etwa ⅛ der beantragten Summen auch vergeben werden (2020 noch ⅓). Dieser Zustand verlangt nach einer nennenswerten Aufstockung der Fördermittel der Hessen Film & Medien. Daher ist eine Steigerung der Fördermittel um 3 Millionen Euro jährlich über die nächste Legislaturperiode im gesamten Wirkungsbereich der Hessen Film & Medien GmbH geboten. (vgl. auch Anhang “FAKTEN”)

FILM-/MEDIENZENTRUM: Hessen verfügt über keine Filmhochschule, sondern über sehr diverse Wege in die audiovisuellen Berufe. Angesichts des grassierenden Fachkräftemangels, der nicht zuletzt in Hessen weiter Produktionsengpässe verursacht, müssen die beruflichen Perspektiven für Hessens Nachwuchs in der Film- und Medienbranche nachhaltig ausgebaut werden. Die Projekte der Hessen Film & Medien im Nachwuchsbereich “Talent-Paketförderung” und “Hessen STEP” waren die ersten Schritte hin zu einer bundeslandweit neu gedachten Nachwuchs-Förderstruktur. Hier braucht es daher den nächsten Schritt, um eine Professionalisierung und branchenüblich notwendige Vernetzung der regionalen Nachwuchsfilmschaffenden zu gewährleisten: ein hessisches Film- und Medienzentrum, das junge Firmen wie ein Hub bündelt, sie mit etablierten Größen der Branche zusammenbringt und ihren Marktzugang fördert – mit Startkapital, Mietkostenzuschüssen, Gründungsberatung und Mentoring. Auch muss das Förderprogramm STEP besser ausgestattet werden, da die Nachfrage seit Einführung 2020 exponentiell gestiegen ist.

FILMBILDUNG: Heute hat nicht mehr nur die nachwachsende Generation mit einer Vielzahl von bewegten Bildern zu tun. Diese Bilder können informieren und erfreuen, aber auch manipulieren und diskreditieren. Hier ist es wichtiger denn je, dass Heranwachsenden ein Werkzeugkasten des Verständnisses für Bewegtbild an die Hand gegeben wird, der ihnen kompetenten Umgang mit diesen Bildern und ihren Konsequenzen ermöglicht: Was ist echt, was ist ein Fake, welchen Einfluss haben schnelle Bildfolgen auf das Unbewusste, wie funktionieren Propaganda und Werbung, welche Auswirkungen haben KI oder Cybermobbing und welche Rolle habe ich persönlich in meinem Medienkonsum? Diese Fragen haben direkten Einfluss auf psychische Gesundheit und politische Bildung. Ganz nebenbei wird dabei auch die Frage mit erklärt, welche beruflichen Möglichkeiten die Filmszene und Medienbranche bieten. Es braucht also den kontinuierlichen und gezielten Ausbau von Film- und Medienbildung in Rezeption und Praxis sowohl für Kinder und Jugendliche als auch in der Erwachsenenbildung.

KINO/ABSPIEL: Der Erhalt der Kinovielfalt in Hessen steht in Frage. Die Kinos prägen das kulturelle und soziale Leben in immerhin noch rund 70 Kommunen in Hessen, die meisten sind kleinere Städte unter 50.000 Einwohner. So leisten die Kinos gerade außerhalb der Ballungszentren einen großen Beitrag zur kulturellen Vielfalt und tragen, auch in Kombination mit anderen dort stattfindenden kulturellen Angeboten, zu einem lebenswerten Freizeitangebot und zur Förderung von Toleranz und Vielfalt der Perspektiven bei. Gefordert sind daher auf Landesebene eine Förderung von lokalen Betriebsmodellen und Kinopraxis, die Erhöhung der Kinoprogrammpreise, und ein Ausbau der hessenweiten Netzwerkprojekte. In Zusammenarbeit der BKM mit den Ländern, z.B. nach französischem Vorbild streben wir die Einführung einer „Kinogrundsicherung“ an. In vier deutschen Metropolen entstehen derzeit Zentren, die dem gewachsenen Raumbedarf an kulturellem Abspiel für Festivals, internationale Filmreihen, Filmbildung, multimedialen Ausstellungen und Events Rechnung tragen. Für die Entwicklung eines solchen Ortes für die Filmkultur, in Ergänzung zu den vorhandenen Institutionen im Ballungsraum Frankfurt, erwartet die Branche auch Unterstützung der Landespolitik.

HESSISCHER RUNDFUNK: Der hr produzierte traditionell inhouse und ändert dahingehend derzeit seine Politik, was wir begrüßen. Leider geht damit offenbar kein Bekenntnis zum Standort in Hessen einher – trotz hochwertiger Stoffbewerbungen und Einreichungen werden hessische Firmen und Kreative von außerhalb des Senders bisher kaum oder gar nicht berücksichtigt. Stattdessen wurde die Neuausschreibung des “Tatort” Frankfurt an eine nicht-hessische Firma gegeben, auch Serienprojekte des hr sind mit den größten Firmen unserer Branche in Planung, die keinerlei Effekt in Hessen hinterlassen werden. Dies steht im krassen Gegensatz zu den vielen Beitragszahlenden in unserem Land, aus deren Beiträgen der hr sein Budget erhält. Wir fordern von der Politik, den hr zu diesem Zustand zu befragen und Rechenschaft einzuholen über den konkreten Plan des hr, sich in und für Hessen zu engagieren – dokumentarisch und fiktional und explizit auch budgetär. Im Zuge der strukturellen und programmatischen Neuausrichtung des hr fordert die Initiative ein nachhaltiges Umdenken und innovative Angebote für alle hessischen Zuschauergruppen.

Verantwortlich: Initiative Hessen Film | Vereinigung der hessischen Filmwirtschaft e.V., AG DOK Hessen e.V., Filmhaus Frankfurt e.V., Film- und Kinobüro Hessen e.V., Junge Generation Hessischer Film und Verbund Filmfestivals Hessen

Ansprechpartner: Jakob Zapf | jakob.zapf@neopol-film.de

Hier finden Sie die Stellungnahmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, DIE LINKE, FDP und SPD zum Positionspapier.

 

Fakten zum Hintergrund:

Die Filmbranche ist ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftszweig und leistet einen großen Beitrag zur kulturellen Vielfalt, aber auch zum wirtschaftlichen Auskommen und Wohlstand in Hessen. Die Branche ist von Klein- und Kleinstunternehmen geprägt. Die kumulierte Mitgliederzahl der Initiative Hessen Film allein beträgt knapp 500, von denen viele kleine Unternehmen und Vereine sind. Laut dem Kreativwirtschaftsbericht des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen gab es 2021 in Hessen 1.100 Unternehmen sowie 2.100 sozialversicherungspflichtig und 700 geringfügig Beschäftigte, die sich der Filmbranche zuordnen ließen. Die Internetplattform Crew United listet 2023 für die einzelnen Berufe als „Freelancer“ etwa 2000 Mitglieder. Hessen hat 127 Spielstätten, davon 40 Arthouse-Kinos. Der Umsatz betrug 2018 vor Corona 67,4 Mio. € und 2022 immerhin noch 55,7 Mio. €. Hessen hat 20 mehrtägige große und kleine Filmfestivals mit über 200.000 Besuchern jährlich.

Im Jahr 2023 verfügt die Hessen Film & Medien über ein Gesamtbudget von 11,5 Mio. €, vergibt Fördermittel i.H.v. gesamt 9 Mio. €, von denen knapp 6 Mio. € auf Filmproduktion und -verleih entfallen. Dies bildet einen guten Anreiz für Projekte in der Region und bringt neben kulturellen Effekten hohe wirtschaftliche Effekte – jeder “Förder-Euro” hebelt weitere Investitionen.

Es bleiben aber viele Chancen ungenutzt und große Herausforderungen zu bewältigen:

FILMBRANCHE INSGESAMT:

  • Der Klimawandel (Nachhaltigkeit) wie auch der gesellschaftliche Wandel (Diversität), die wirtschaftliche Entwicklung (Inflation, sozialverträgliche Gehälter und Arbeitsbedingungen) und die bahnbrechende Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz stellen der Branche insgesamt neue, fordernde Aufgaben. Neben unseren eigenen Anstrengungen, die wir bereitwillig gehen, um uns weiterzuentwickeln, ist für viele dieser Aufgaben eine Anpassung der Budgetsunabdingbar.

FILMPRODUKTION:

  • Hessen droht den Anschluss ans Mittelfeld der filmfördernden Länder zu verlieren. Schon vor, erst recht während und seit Corona haben andere Bundesländer deutlich aufgestockt. Hier Angaben zu den Projektfördermitteln:
  • Die großen Förderungen haben deutlich zugelegt: So hat Berlin-Brandenburg die Projektförderung von 35,3 Mio. (2019) auf 48,2 Mio. € (2021) erhöht, Bayern von 31,8 Mio. (2016) auf 41,1 Mio. € (2022), NRW von 35,8 Mio. (2018) auf 40,1 Mio. € (2021).
  • Bei den mittleren Förderungen, zu denen Hessen gehört, sticht MOIN (Hamburg/Schleswig-Holstein) hervor, mit einer Steigerung der Projektmittel von 11,8 Mio. (2019) auf 17 Mio. € (2022). Die MFG in Baden-Württemberg erhöhte von 15 Mio. (2018) auf 18 Mio. € (2022), die MDM von 12,5 Mio. (2019) auf 15,3 Mio. € (2023).
  • Hessen liegt hier deutlich darunter und verfügt mit aktuell 9 Mio. € (inkl. Kinos und Festivals) respektive 6 Mio. € (Film-Projektförderung) über den Geringsten dieser mittleren Etats.
  • Auch die jüngste und kleinste bundesdeutsche Filmförderung in Mecklenburg-Vorpommern steigerte ihr Budget in den 2 Jahren seit Gründung von 1,2 Mio. auf 3,5 Mio. €.
  • Corona hat unsere Branche besonders betroffen und die Altlasten sind noch nicht überwunden.
  • In unserer Branche sind viele soloselbständig, ein Bereich, der von den Notfall-Förderungen damals oft ausgenommen war.
  • Kinos waren geschlossen, Festivals wurden abgesagt. Dies betraf neben den Kinos und Festivals auch die ansässigen Verleih- und Produktionsunternehmen. Alle hatten große Umsatzeinbußen zu verzeichnen.
  • Streamer haben in dieser Zeit bzw. bisher leider nicht mit hessischen Firmen gearbeitet und konnten den Rückgang nicht auffangen.
  • Diese Altlasten sind weiter in den Büchern und müssen abgearbeitet werden.
  • Dennoch ist der Bereich sehr dynamisch. Seit 2020 gab es ca. 20 Neugründungen bzw. Neuansiedlungen von Filmproduktionen und -verleihern in Hessen, die in einem direkten Zusammenhang mit der Neuausrichtung der Hessen Film & Medien stehen.
  • Dies ist eine strategisch gezielte Entwicklung, die politisch gewollt und mit´öffentlichen Mitteln gefördert war. => Hier gilt es, nicht den Zeitpunkt zu verpassen, den nächsten Schritt zu gehen, damit dieser Effekt nicht verpufft.
  • Das Verhältnis von Antragssumme zu Fördersumme war 2020 ⅓ und ist heute 2023 ⅛. => Dies führt zu einer deutlich verschärfte Konkurrenzsituation auf die vorhandenen Töpfe.
  • Dabei fand aber keine Erhöhung der Mittel für Produktionsförderung statt, sondern lediglich die beschriebene Flexibilisierung durch Umwandlung in Haushaltsmittel.
  • Durch die Talent-Paketförderung und den Ausbau der Stoffentwicklung liegen derzeit 54 Drehbücher, 16 Treatments und 16 Talent-Paket-Projekte in der Schublade.

FILMNACHWUCHS:

  • Die hohe Anzahl an Neugründungen untermauert die Notwendigkeit eines Film- und Medienzentrums – wo die anentwickelten Stoffe umgesetzt werden könnten.
  • Andere Bundesländer bieten seit vielen Jahren beachtliche Förderprogramme für Start-ups und für innovative Medienprojekte (z.B. Medien Gründer Zentrum in NRW, MEDIAstart der MDM, Bayern Media Lab) – und ziehen Aufmerksamkeit und Talententwicklung weiter an sich.
  • Auch hier droht ein Abwanderungseffekt.
  • Das hessische Förderprogramm STEP hat den sinnvollen Effekt einer Abmilderung des Fachkräftemangels.
  • Diese Fachkräfte müssen danach aber beschäftigt werden können.
  • Andere Länderförderungen bieten mittlerweile ähnliche Modelle (z.B. „Get On Set“ in Hamburg/Schleswig-Holstein) – mit höherer Förderung und längerer Laufzeit.
  • Der hessische Nachwuchs ist besonders auf eine Zusammenarbeit des hr mit der regionalen Branche angewiesen.
  • Dazu braucht es außerdem geförderte Kinofilme, die hier vor Ort gedreht werden – besonders regionale, aber auch überregionale.

FILMABSPIEL:

  • Hier eine Übersicht der deutlichen Erhöhungen bei den Kinopreisen, die Bundesländer um uns herum in den Corona-Jahren vorgenommen haben:
  • Allen voran Berlin-Brandenburg, Bayern und Baden-Württemberg, die ihre Preisgelder seit 2019 verdreifacht haben (in Berlin-Brandenburg auf 1,5 Mio., in Bayern auf 1,4 Mio. und in BaWü auf 1,1 Mio. €).
  • In Hessen verharren die Preisgelder mit 150.000 € auf dem Vor-Corona-Niveau.
  • Eine Ausweitung der Kinoförderung innerhalb der Hessen Film und Medien kann drohende Kinoschließungen verhindern

Bild: © nathaliemeyer0/Pixabay